Rezension: Der vierte Mond | Kathleen Weise

Autor: Kathleen Weise
D 2021

Einzelband
448 Seiten
Verlag: Heyne
Genre: Space Fiction

ISBN: 978-3-453-32082-6

Zum Buch

Inhalt

Als der Orbiter Eurybia auf dem Jupitermond Kallisto abstürzt und die Mitglieder der Mondstation an einem unerklärlichen Fieber erkranken, steht die vierte bemannte Jupitermission kurz vor dem Scheitern. Auf der Erde wird eine Bergungsmission zusammengestellt, die herausfinden soll, was auf Kallisto geschehen ist. Doch niemand ahnt, was der eisige Mond tatsächlich verbirgt und was die drei toten Geschäftsleute auf der Erde damit zu tun haben …

Die Eurybia war ihr wachsames Auge im Orbit über ihnen. Ihr Absturz lähmt sie, aber solange sich niemand bewegt und keiner spricht, steht auch die Zeit still. So lange ist Mercer noch am Leben und die Eurybia nicht zerstört.

Erst dann sitzen sie auf Kallisto fest, und Sam muss einsehen, dass das Wunder, auf das er gehofft hat, nicht geschehen ist.

Seite 9

Aufmachung

An sich handelt es sich um ein eindrucksvolles Cover, welches auf eine spannende Geschichte anspielt und eines ist, wie man es sich manchmal für Bücher dieser Art wünscht. Doch wenngleich eine Eislandschaft wie jene der im Buch erwähnten Jupitermonde Europa und Kallisto angedeutet wird, so ist es dennoch eine wenig mit dem Inhalt verbundene Darstellung, zumal kein auf den Lichtstrahl, welcher die Mitte des Covers einnimmt, bezogenes Ereignis stattfindet, außer es soll den Absturz des Raumschiffes/Orbiters Eurybia in Verbindung mit aufgewirbelten Eismassen zeigen.

Der Titel passt in mancher Hinsicht, da es einen wichtigen Handlungsschwerpunkt auf dem vierten Jupitermond Kallisto gibt, wenngleich die Geschichte mehr von Ereignissen auf der Erde erzählt und eventuell der zweite Mond Europa eine größere Bedeutung für die Handlung innehält.

Eigene Meinung

Mit Interesse und vielleicht etwas höheren Erwartungen aufgrund des Klappentextes ging ich an dieses Buch heran, doch im Endeffekt handelt es sich weniger um ein Werk glaubwürdiger und mitreißender Science-Fiction, sondern eher um einen in näherer Zukunft spielenden Thriller mit Aspekten der Weltraumfahrt.

Im Jahre 2104 soll die vierte Mission der Erkundung des Jupitermondes Kallisto erfolgen. Bislang barg das Eis keine Spuren von Leben und waren die Erkundungsteams nicht mit Glück gesegnet. Dennoch ist es eine Chance, die vielen anderen Spaceworkern verwehrt bleibt und welche das Unternehmen Space Rocks an die Spitze bringen könnte. Wäre da nicht ein ausbrechendes Fieber, welches den Tod nicht nur fernab der Erde mit sich bringt und eine folgenschwere Veränderung für die Menschheit bedeuten könnte.

»Romain, Clavier, Visionär einer ganzen Branche.«
Er zuckt mit den Schultern. »Warum nicht.«
»Weil das hier keine Pionierzeiten mehr sind.«
»Und genau da täuscht du dich. Wir stehen an der Schwelle zu etwas Unglaublichem. Wenn uns der Sprung an den Rand des Sonnensystems gelingt, können wir auch darüber hinaus weiter. Die Menschen wollen das. Sie werden es tun.«

Seite 179

Bedauerlicherweise hatte ich schon zu Beginn große Probleme mit diesem Buch, was anfänglich an dem gewöhnungsbedürftigen Schreibstil lieben mag, welcher mich des Öfteren aus dem Fluss des Lesens herausgerissen hat. In Teilen mögen gewisse Absätze mitreißend sein, sofern die Handlung zu jenen Zeitpunkten anregend ist, aber dann kommen Vergleiche und Metaphern auf, welche nicht gut, indes vielmehr erzwungen wirken. Die Akkumulation von kurzen Sätzen, teils in Form von Ellipsen, erweckt nicht selten einen abgehackten Eindruck, der in mir manchmal den Wunsch nach vollständigen und abwechslungsreicheren Sätzen hervorgebracht hat. Im Endeffekt ist es ein Stil, den ich nicht als schöne Prosa empfinde, welcher jedoch seinen eigenen, konsistenten Charakter hat, den manche Lesen mögen könnten.

Verbunden mit der Art der Erzählung ist selbstverständlich das Auftreten der zukünftigen Welt. Bewusst werden modern wirkende, überaus herausstechende Begriffe gewählt, welche die Innovation der Technik unterstreichen sollen. Während man heutzutage gewiss kein Smartphone näher beschreiben würde, so wäre dies auch mit fortgeschritteneren Geräten der Zukunft nicht der Fall, weshalb es schlüssig ist, ein Glossar zur Begriffserklärung zu verwenden anstatt Figuren in genauere Ausführungen des für sie Alltäglichen übergehen zu lassen. Es gibt jedoch Mittel, dem Leser indirekt einen Hinweis auf die Funktion des erwähnten Mediums zu geben, wie beispielsweise anstatt lediglich zu schreiben „seine goldenen EarMags glänzten in der Sonne“ (Seite 45) – wobei natürlich für die meisten Menschen mit Kenntnis des Englischen der Begriff Ear selbsterklärend sein mag, es aber eigentlich ein Buch in deutscher Sprache ist – könnte man erwähnen, dass sie in seinen Ohren glänzten oder es für ihn sei, als ob sie sich im gleichen Raum befänden und miteinander sprächen, dass es kein unnatürliches Knistern in den Ohren gäbe oder sie heutzutage unauffällig klein sein konnten, außer man wolle seinen Reichtum zeigen. Dann wiederum kommt bei der Begriffserklärung von Blue-Paper die Frage auf, inwiefern ein Papierersatz fortschrittlich ist, wenn dieser dünner als einen Millimeter sei. Handelt es sich um ein digitales Gerät als Ersatz von bedrucktem Papier? Dann ist ein Millimeter wahrlich dünn.  

Endlich begreift er die geheime Wahrheit, die alle Spaceworker kennen: Der Mensch ist ein erdgeschaffenes Produkt. Designed for earth. Immer unterwegs auf feindlichem Gebiet, sobald er die Heimat verlässt. Ohne Verbündete, ohne Hoffnung auf ausreichende Anpassung. Sie wissen, dass alles so abweisend ist, wie es aussieht, ganz egal, wie es es glänzt. Selbst hier auf dieser Eiskugel.

Seite 185

Es mag wieder einmal ein Marketingaspekt des Verlages sein, der Leser mit Freude an Science-Fiction anlocken soll. Über diesen Weg können Enttäuschung und Frust jedoch wesentlich größer ausfallen. Bis zur Danksagung dachte ich, es läge weniger an der Autorin, dass von Wissenschaft reichlich bedacht gesprochen werden solle, aber dann äußert sie Worte, die das Buch in ein ganz anderes Licht rücken. Die Aussagen „Es ist eine alte Diskussion: Wie viel Science muss und wie viel Fiction darf in einen Text, damit er noch als Science-Fiction gilt?“ und „Verstehen Sie mich nicht falsch, Physik ist sehr faszinierend, und ich liebe meine Gadgets, aber nichts interessiert mich so sehr wie das menschliche Gehirn – die größte Maschine von allen.“ (Seite 445, Danksagung) in Verbindung mit weiteren Sätzen, die nicht den Grund für das gewählte Science-Fiction-Setting erläutern, erwecken in mir immense Verwunderung. Die Autorin wirkt nicht zu sehr von der Wissenschaft begeistert oder von dem Genre des Science-Fiction fasziniert, wenngleich sie Recherchearbeit nachgegangen ist, welche bedauerlicherweise im Resultat nur oberflächlich auftritt und dennoch viele, viele Logikfehler beinhaltet. Ist das Erstaunliche des menschlichen Geistes nicht, dass er in allen möglichen Szenarien erkundet werden kann? Dass er in gleicher Weise in einer High-Fantasy-Geschichte als auch in einem in unserer Realität spielenden Thriller darstellbar ist? Weshalb wählt man dann direkt Science-Fiction, welche dann in zu naher Zukunft platziert wird, und nicht ein anderes Genre? Die Fiktion der Wissenschaft baut im Wesentlichen entweder auf heutigen Kenntnissen auf oder schafft sich gänzlich neue Gesetze. Viele Autoren haben gezeigt, dass man nicht realistische Zukunftsvisionen mit Wissenschaft höheren Niveaus darstellen muss, um eine glaubwürdige oder einnehmende Geschichte zu schreiben. Es ist möglich sich eine neue Zukunft zu erdenken, ein anderes Universum, eine andere Parallelwelt. Man geht so viele Jahrhunderte voraus, dass sich weniger gefragt wird, ob es möglich sei und dem Realismus zuzuschreiben wäre.

Stattdessen wird sich von Beginn an auf einen Pfad begeben, der unglaubwürdig und absurd in vielen Bereichen ist. Achtzig Jahre in der Zukunft: Ein einsehbarer Zeitraum. Ein gewagter Zeitraum. Es sind gerade so viele Jahre, dass wenig Raum für Phantasie bleibt, sofern nicht plötzlich die Apokalypse über die Menschheit gekommen ist oder außerirdisches Leben alles verändert hat. Es bleibt offen, was in diesen Jahren geschehen ist, wenngleich es entscheidend für die Raumfahrt wäre. Andere Organisationen der Weltraumfahrt werden zumindest erwähnt, aber wie es mit dem Weltraummüll ausschaut, der Umweltsituation oder den Ländern allgemein ist unklar. Proteste sind vorhanden, doch kann man ihre Tragweite, ihre Bedeutung und ihren genaueren Grund nicht bezeichnen. Alles wird zu vage dargestellt und grundsätzlich hat sich nichts verändert. Es gibt keine Erwähnung von vergangenen Konflikten in einem Nebensatz, welcher dem Buch schlichtweg mehr Tiefe geben würde, oder überwundenen Problemen. Einerseits ist die Medizin in einigen Fällen beinahe äquivalent zu dem jetzigen Stand, andererseits ist es möglich eine Halsschlagader mit einer künstlichen auszutauschen, wobei man sich fragt, weshalb diese künstliche Halsschlagader äußerlich sichtbar erscheint. Dadurch entsteht eine deutliche, irritierende Diskrepanz.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist diesbezüglich die Erwähnung, es seien schon mehrere, teils bis zu vier Generationen an Spaceworkern tätig gewesen. Anscheinend bekommen die Menschen in der Zukunft mit 10 Jahren ein Kind und gehen dann im Weltraum arbeiten, insofern die aktive, menschenbemannte Raumfahrt wie die Arbeit in einem Büro mit vielen tätigen Astronauten oder hierbei Spaceworkern sozusagen nicht jetzt beginnenim Jahre 2021 würde. Eine Mannschaft fliegt extra zu den Monden des Jupiters, um explizit Proben von Kallisto zu beschaffen. Weshalb werden keine Rover und Roboter für diese riskante Probennahme verwendet, sondern Menschen, die sich undiszipliniert an keine Protokolle halten können? Die Strahlung scheint das Einzige zu sein, dass problematisch ist, wenngleich sich die Charaktere ohne große Sorgen dieser ab und an, hier und da aussetzen. Das interstellare Schmuggeln von Eisproben und anderen Objekten von außerhalb der Erde ist ein relativ simples Spiel, wird nicht bemerkt und beeinflusst vor allem nicht Dynamiken in der Raumfahrt, welche noch nicht so weit entwickelt ist, dass Gewichtsveränderungen keinen allzu relevanten Einfluss hätten. Die Planung eines neuen Fluges zum Mond Europa wird nicht als sonderlich zeitaufwendig umschrieben und bedarf nicht der Betrachtung des Standes einzelner Himmelskörper. Wenigstens wird die lange Sendezeit zwischen dem Mond Europa und der Erde angemerkt, was jedoch nicht ins Gewicht fällt. Dann wird von vererbter Strahlenresistenz in der zweiten Generation gesprochen, tatsächlich undenkbarer Evolution und der Knochenbau von Kindern ist stärker, die Körper sind gedrungener, da die Eltern als Spaceworker in geringer Schwerkraft gearbeitet haben. So funktioniert die Biologie. Übrigens wachsen Olivenbäume neben Palmen in den Tropen, da sie heiße Temperaturen vertragen.

All diese Aspekte, die scheinbar mangelhaftes Wissen zu überaus vielen Themengebieten zeigen, haben es mir sehr schwer gemacht, Begeisterung für dieses Werk zu empfinden und andere Gesichtspunkte mit angenehmen Vergnügen zu lesen.

Ihm steht Romain gegenüber, auch wenn Daniel auf der anderen Seite des Tisches neben Felix an der Längsseite Platz nimmt, als wäre er der zweite Mann, die rechte Hand. Aber das ist er nicht. Er ist der Kopf, der fallen muss.

Romain nickt. Nun sind sie vollzählig. Alle Stühle sind besetzt und alle Figuren aufgestellt.

Annabella schließt die Tür.

Die Schlacht beginnt.

Seite 89

Hinzu kommt, dass sich die Handlung auf eine Nebenerzählung konzentriert, die mehr in den Vordergrund gerückt wird als die in manchen Momenten spannenden Ereignisse auf dem Jupitermond, wenn man den Fokus nicht Ungereimtheiten und fehlende, wissenschaftliche Grundlagen lenkt. Die Erzählung der Vorgänge auf der Erde, welche in Verbindung mit der gescheiterten Erkundungsmission stehen und das Schicksal eines Konzerns betreffen, nimmt den Hauptteil des Buches ein, aber ist sie für mich wenig interessant, zumal nicht selten Zeitsprünge verwendet oder entscheidende Dialoge und kompliziertere Szenen übergangen werden, was unzureichende Nacherzählungen mit sich bringt. Allerdings zeigen aufkommende Hürden, dass Konflikte von Unternehmen kein leichtes Unterfangen sind. Es wird demonstriert, dass Menschen für Geld, Profit, Macht und Erfolg nicht an einen Strang ziehen, dass Informationen aus Scham, Furcht, Angst und Verleugnung verborgen werden. Teilweise sind die Darstellung und Erkundung des menschlichen Geistes gut gelungen, wiederum fallen sie blass und eintönig aus.

Alle Hauptfiguren tragen gleiche Charakteristika – traumatische Erinnerungen, gewissermaßen eine tragische Vergangenheit, Hoffnungslosigkeit. Hinzukommt, dass man ihr Alter nicht kennt, weshalb nicht einschätzbar ist, wie viel Erfahrungen sie gesammelt haben und die Möglichkeit mehr Bedeutung zu schaffen verloren geht. Es ist die Rede von alt und jung und erst später erfährt man, dass sie sogar Kinder haben. Was nützt mir die Aussage, Person X sei zwei Jahre älter als Person Y, wenn ich die Anzahl der Lebensjahre von Person Y nicht kenne? Es mag kein bedeutender Mangel sein, nur empfinde ich derartige Anhaltspunkte als sehr hilfreich, um Figuren auf der einen Seite voneinander zu differenzieren, aber auch um die Schwere von Aussagen zu spüren. Man nehme die Worte „er fühlte sich alt“: ist er 25 zeigt es die Last seiner Arbeit oder seines Lebens auf andere Weise als wenn er 50 wäre. Außerdem konnte ich wenig Begeisterung für die einzelnen Figuren aufbringen, da sie Unterschiede aufzeigen, aber wie erwähnt zu ähnlich sind. Allgemein wählen sie den Alkohol oder Pillen, um der Realität zu entkommen, und die Sexualität, in diesem Fall in Form eines schnellen Geschlechtsverkehres zwischendurch oder eines die Masturbation liebenden Mannes, ist erneut jenes Mittel zum Aufzeigen der erwachsenen Eigenart eines Buches. Geschwind werden all diese Figuren wieder aus dem Geiste verschwinden.

Fazit

Letztlich konnte mich die Geschichte nicht mitreißen oder gar überzeugen, besonders aufgrund der suspekten Glaubwürdigkeit als beworbener Roman der Wissenschaftsfiktion als auch den spärlich auftretenden Kapiteln, die das Mysterium der Ereignisse auf den Jupitermonden behandeln. Ebenso geht Spannung leider ebenso dadurch verloren, dass man schon früh die Ausgänge und Lösungen von Enigmen kennt, welche die anderen Figuren weiterhin im Ungewissen untersuchen müssen. Die Autorin zeigt womöglich Potential, welches in einem anderen Genre oder mit wesentlich mehr Detail in der Recherche entfaltet werden könnte.

2/5 ★



Vielen Dank an den Heyne-Verlag für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares.

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