Auf langen Fahrten, sei es per Zug oder Auto, Bus oder Schiff, habe ich mich stets gefragt, wie man die Zeit nutzen könnte, wenn die Reisekrankheit über den Drang zu Lesen siegt, Gesprächspartner fehlen, Themen für einen Dialog erloschen sind, oder die Stimmung auf Musik vergangen ist, zumal die eigenen Gedanken ohnedies die Ohren taub für die Klänge der Musik werden lassen. Die Kraft der Einbildung möchte Geschichten nachgehen, aber scheinen diese stets ungenügend zu sein, sodass alsbald die Langeweile Einzug hält.
Weshalb mir nie Gedanke an Hörbücher gekommen ist, bleibt mir ein großes Rätsel. Doch nachdem ich mich an das erste Hörbuch herangetraut hatte, eröffneten sich neue Möglichkeiten, Literatur zu erleben, und kamen seitdem immer wieder Momente des intensiven Hörens von vorgelesenen Büchern, wie man anhand meiner Lesemonate unschwer erkennen kann. Warum höre ich jedoch nicht zu jeder Zeit ein Hörbuch, obschon ich diesem Medium hingegen nicht abgeneigt bin?
Sofern mich meine Erinnerungen nicht trügen, begann alles mit dem gekürzten Hörbuch zu To All the Boys I’ve Loved Before von Jenny Han, wobei ich meinen Beweggrund der Entscheidung für dieses Werk nicht mehr zu definieren vermag. Zuvor war ich stets der Annahme, kein Hörbuch konsequent und mit Aufmerksamkeit konsumieren zu können, aber zeigte mir dieses, dass ein Hörbuch etwas ganz anderes sein kann, wenngleich ich zu Beginn bewusst leichtere Lektüre gewählt hatte. Doch während mir dieses und das darauf folgende Buch (Lockwood & Co. – Die Seufzende Wendeltreppe von Jonathan Stroud) positive Aspekte von Audiobüchern lieferten, zeigte sich beim zweiten Band der Lockwood & Co. Reihe, wie ein Vorleser den Charakter der Geschichte beeinflusst.
Vorteile und Nachteile
Der zumeist wichtigste Anreiz für mich, ein Hörbuch zu wählen, ist die Mobilität und Flexibilität der Anwendung dieser. Vielerlei Tätigkeiten erfordern die Hände, wie das Lesen von Büchern an sich, aber oftmals ist kein aktiver Geist vonnöten. Seien es simple, eintönige Arbeiten oder solche, welche überwiegend die Aufmerksamkeit der Augen erfordern – meine Gedanken schweifend gerne ab und führen gelegentlich zu erdrückender Leere. In diesen Augenblicken eigenen sich Hörbücher perfekt, vor allem, wenn man sich von Ort zu Ort bewegt. Trotz dass E-Books ebenfalls digital zu allen Orten mitnehmbar sind, lese ich bevorzugt gedruckte Worte oder wähle während aktiveren Tuns die auditive Form solcher. Problemlos kann man beispielsweise Pflanzen umtopfen und Unkraut jäten, Sticken und Nähen, dem Putzen und einfachem Sortieren nachgehen. Plötzlich ist die immer gleiche Bahnfahrt kein verschwendetes Warten, wenn keine Ruhe gefunden werden kann. Der monotone Weg, dessen Details man schon erkundet hat oder die Interessen woanders liegen, streckt sich nicht mehr in alle Ewigkeit. Manchmal kann es an einem trüben Tag ein Ausweg aus der Realität sein oder vielmehr eine Erweiterung dieser.
All dies setzt jedoch voraus, dass man keine zu großen Einflüsse und Ablenkungen der Umgebung erfährt oder das Buch im entscheidenden Moment nicht zu komplex ist. Das Abbrechen der Konzentration und die Verwandlung von allen Geräuschen zu einem Rauschen des Hintergrundes können tödlich für das Hörbucherlebnis sein.
Dementsprechend habe ich mich bisher oftmals für leichtere Lektüre wie Harry Dresden von Jim Butcher oder Das Labyrinth des Fauns von Guillermo del Toro und Cornelia Funke entschieden, aber ebenso zum Auffrischen der Welt von Six of Crows von Leigh Bardugo. Diesbezüglich kann es auch von großem Vorteil sein, die Vorlesegeschwindigkeit anzupassen, insbesondere wenn man teils kein schneller Leser ist, oder man entscheidet sich für eine gekürzte Lesung, um den Grundkern eines Werkes kennenzulernen.
Dennoch muss es sich nicht grundlegend um Lektüre dieser Art handeln, sondern je nachdem, wie man Informationen auditiv aufnimmt, welchen Reiz die Handlung ausübt und man die Interpretation des Vorlesers empfindet, lassen Hörbücher die vergehende Zeit als weniger erdrückend erscheinen. Umfangreichere Werke wie Outlander von Diana Gabaldon oder Kingsbridge von Ken Follett, welche schon allein durch die Übersetzung eine beachtlich hohe Seitenanzahl aufweisen, nehmen als Hörbuch zusätzlich mehr Stunden in Anspruch, was durchaus abschreckend wirken kann. Doch der Schein trügt meist, denn obschon man der Hördauer nach Tage verbringen muss, merkt man bei einem Audiobuch weniger, wie lange man insgesamt hört, da ein paar Minuten nebenbei gehört werden können. Der Lesefluss muss nicht erst angeregt werden, sondern kann man sofort in die Geschichte eintauchen. Zu vielen kleinen Gelegenheiten lässt sich ein Hörbuch abspielen, bis ein wuchtig anmutendes Werk schlichtweg eine schöne Reise ist. Vielleicht möchte man während eines Spazierganges durch den Wald oder der Fahrt durch die dunklen Stunden der Nacht nach einer Geschichte greifen, welche diese Orte intensiver erscheinen lässt. Wenn die Geräusche der Natur oder der Lärm der städtischen Welt mit den Erlebnissen der Figur einer passenden Parallelwelt verschmelzen. Wenn man den Wind der Highlands auf der Haut spürt, die Szenerie vor Augen hat. Wenn man den kalten Schnee des Winters gemeinsam mit dem Protagonisten fühlen kann. Aber dafür muss man selbstverständlich das richtige Hörbuch finden und manchmal möchte man doch nur auf der Leinwand der Dunkelheit die eigene Phantasie erblühen sehen.
Obschon ich selten Thriller oder Krimis als Hörbuch gewählt habe, da es sich eher weniger um das für mich passende Genre handelt, sind diese absolut für die vorgelesene Variante geeignet. Wessen Augen entwickeln bei spannenden Szenen nicht urplötzlich einen eigenen Willen und huschen zu den nächsten Zeilen, um die Auflösung zu sehen? Audiobücher verhindern diesen Drang und sorgen meiner Meinung nach für mehr Überraschung. Doch sofern keine Lesezeichen gesetzt wurden, kann man nicht schnell Seiten zurückblättern und können zusätzliche, hilfreiche Glossare und Karten verloren gehen. Aus diesem Grund ist es ebenso wichtig, sich für das passende Buch zu entscheiden.
Der jedoch wichtigste und entscheidendste Aspekt mag der Vorleser sein. Während die Übersetzung weniger Freiheiten offen lässt und Ungleichheiten gar unerwünscht sind, gibt der Sprecher einem Buch durch die Art und Weise des Vortrags eine neue Ebene. Die Interpretation des Vorlesers kann den Unterschied machen, ob man ein Buch weiterhören möchte oder nicht, zumal man als Leser der vielseitigen Möglichkeit der Eigeninterpretation grundsätzlich beraubt. Doch oftmals habe ich ein Audiobuch aufgrund des Sprechers fortgesetzt oder gar als mitreißend empfunden. Birgitta Assheuer passt beispielshalber ausgezeichnet zu der Protagonistin Claire aus Outlander, sodass die Wirkung entsteht, die Geschichte tatsächlich von Claire persönlich erzählt zu bekommen, weshalb man weiterhören möchte, während man das Buch vielleicht längst beiseitegelegt hätte. Gegenteilig ist es mir mit Anna Thalbach als Sprecherin für den zweiten Band von Lockwood & Co. ergangen, da sie zwar eine gute Vorleserin sein mag, doch für mich eine zu charakteristische Stimme besitzt. Folglich empfehle ich stets zuvor die Hörprobe zu nutzen.
Eventuell wählt man sogar das Hörbuch in Originalsprache, um die Aussprache von Wörtern zu lernen, wobei ich persönlich Übersetzungen präferiere. Vielleicht findet man die Übersetzung auf Audible als Audible-Exclusive wie Harry Dresden, eine Reihe, die ich ohne die übersetzte Version in Hörbuchform nicht derart intensiv fortgesetzt hätte.
Im Endeffekt sind Hörbücher eine wahrhaft schöne und empfehlenswerte Erweiterung der Literaturwelt.
Dieser Beitrag entstand durch freundliche Zusammenarbeit mit Audible.